STATE OF THE ART the green edition 2023

galerie postel @JUPITER FIRST FLOOR, 2.-10. November 2023

Ina Arzensek, Birgit Brandis, Kathrin Haaßengier, Sylvia Henze, Katharina Kohl, Olaf Kreinsen, Ben Nurgenç, Danijela Pivašević-Tenner, Brigitte Raabe / Michael Stephan / Piet Trantel (RESTkollektiv), Pranjal Trivedi

The green edition – die diesjährige STATE OF THE ART bringt Kunst zusammen, die sich mit unserem Umgang mit der Natur, dem Klimawandel und der Umwelt auseinandersetzt:

Ruprechtskraut – ein Teil der Installation von Ina Arzensek

Ina Arzensek sensibilisiert in ihren Arbeiten die Besucher für die Elemente, die Natur und ihre Umgebung. Lichtbrechungen, Transparenzen, Spiegelungen werden genutzt oder erst sichtbar gemacht, Schwerkraft oder Wind wirken auf Installationen oder Objekte ein, Vergrößerungen oder Hindernisse heben sonst vielfach übersehene Situationen hervor.

Für STATE OF THE ART holt sie die Natur in den Ausstellungsraum und leistet mit einer Wildblumeninstallation zum Mitnehmen einen Beitrag zur Artenvielfalt. Und während an einer Stelle der Ausstellung der Blumenbestand abnimmt, werden an anderer während der Ausstellung vielleicht schon die ersten zarten neuen Pflänzchen zu beobachten sein.

Birgit Brandis, Distel, 2022

Die Distel von Birgit Brandis spielt in der Ausstellung STATE OF THE ART the green edition gleich zwei Mal eine Rolle: Als Gemeinschaftsarbeit mit Kathrin Haaßengier kann sie durch den Besucher zum Klingen gebracht werden und als großes Holz-Tafelbild strahlt sie stachelig in den Raum. Physisch hat Brandis mit hohem Kraftaufwand Kerben in das mehr als menschengroße Bild geschnitzt, die Tafel allein vom Format ein gleichberechtigtes Gegenüber, der Schaffungsakt ein Dialog. Sie unterscheidet sich technisch und damit im Erscheinungsbild von der Feige, die, mit der Fräse bearbeitet eine leichtere, geschwungene Linienführung ermöglichte und so die organische Weichheit der Feigenform ganz anders nachzeichnen konnte.

Auskratzungen, ein fast schon bildhauerisches Herausschälen von Farbschichten, war auch bei früheren Acrylbildern Brandis’ ein entscheidendes Element. Auch die in der Ausstellung gezeigten leuchtend farbigen Grafiken von Pflanzen entstehen aus einer Schabtechnik und werden, oft vor dunklem oder leuchtend farbigen Hintergrund, freigelegt. Herbarium nennt Birgit Brandis diese Serie, wie die Sammlungen getrockneter Pflanzen, die im botanischen Kontext der Wissenschaft dienten.

Dabei greift sie auf wissenschaftliche Publikationen wie jene Carl von Linnés zurück, der im 18. Jahrhundert ein Ordnungssystem der Pflanzen erstellte. Nicht ohne Freude an der Provokation wählt Brandis Motive, die im Kontext von Linnés Veröffentlichung zur Sexualität der Pflanzen zu seiner Zeit für Aufregung sorgten und feiert in leuchtend farbigen Darstellungen die überbordende Fruchtbarkeit und Fülle der Natur.

Kathrin Haaßengier, Zweite Konatiorin, 2007

Kathrin Haaßengiers Arbeiten sind eigentlich mehr Zeichnungen im Raum als „Skulpturen“. Aus Kabeln gewunden und vom Zufall gesteuert senden die oft an Insekten erinnernden Wesen Signale in die Welt. Strom durchfließt wie Blut die Adern, die den Körper bilden. Manche sind fleißig und leise, andere summen und manche sind energisch laut – Individuen, die ein Eigenleben entfalten.

In einer Gemeinschaftsarbeit mit Birgit Brandis wandelt sie die Dornenstruktur einer Wilden Karde in Musik und bringt so die individuelle Pflanze zum Klingen. So kommuniziert die Pflanze mit dem Besucher, eine eigene Melodie, ungleich jeder anderen Wilden Karde. Wer zuhört und durch drehen der Orgel in den Dialog eintritt, hat die Chance, dieses Wesen besser kennenzulernen.

Sylvia Henze, Videostill, 2023

Sylvia Henze konfrontiert den Betrachter mit den Folgen menschlichen Handelns und den Gewalten der Natur. Geprägt von ihrem gerade erst beendeten Aufenthalt im Überschwemmungskatastrophengebiet in Griechenland dokumentiert sie die Relikte menschlicher Zivilisation, die von den Schlammmassen begraben wurden.

Natur erobert sich friedlicher, aber ebenso konsequent den Raum zurück, aus dem die Zivilisation sich zurückgezogen hat: Im zypriotischen Grenzgebiet der Uno-Sperrzone überwuchert sie Mauern und Häuser, andernorts verschwinden ungenutzte Autos unter ihr und das Grün gewinnt die Oberhand.

Feuer und Erde sind die Elemente, die Sylvia Henzes keramische Arbeiten prägen. Zugleich ist Feuer eine schwierig zu kontrollierende Gewalt, die Keramik im Rakubrand eine eigene Farbigkeit durch Ascheflug verleiht und – manchmal kaum sichtbar, aber als Gewalt zerstörerisch – ganze Flächen vernichtet. Eine Videoinstallation, hier in einer nacheinander geschalteten Variante zu sehen, die künftig auch in anderen Projektionsvarianten geplant ist, macht die abstrakten und immersiven Qualitäten der alles verschlingenden Flammen erlebbar.

Katharina Kohl, Das Gedächtnis der Hilanderas, 2023

Katharina Kohls Kunst bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den zeitaktuellen politischen Themen, in die sie sich in jahrelanger konzeptueller Arbeit hineinvertieft, und den Arbeiten des großen spanischen Porträtkünstlers des Barock, Diego Velazquez, dessen Persönlichkeitserfassung sie seit Jahrzehnten unter dem Begriff „Blickraum“ untersucht. Ursprünglich von der Videokunst kommend, sind ihre heutigen Arbeitstechniken Aquarall, Grafik und Installation und der Aktenordner seit ihren Arbeiten um die NSU Morde ein wichtiges technisches Element.

In der STATE OF THE ART the green edition treffen die Problematik unserer heutigen Textilproduktion mit Begriffen wie Fast Fashion und katastrophalen, teils tödlichen Arbeitsbedingungen auf die traditionelle Textile Handwerkskunst – als Frauenarbeit wie sie in dem Gemälde Las Hilanderas von Velazquez zu sehen ist und in den traditionell als Aussteuer über Jahrhunderte von Frauen handgefertigt wurden, aufeinander.

Olaf Kreinsen, Urban Trees, München #5, 2011

Man möchte Mitleid haben mit den misshandelten Kreaturen aus Olaf Kreinsens preisgekrönter Serie „Urban Trees“: Eingepfercht in zu enge Pflanzgefäße, erdrückt durch Beton, festgekettet und mit Eisenringen versehen (wozu eigentlich?) werden ihrer Existenz Grenzen gesetzt, bevor sie angefangen haben, zu wachsen.

So ist es vielleicht kein Wunder, dass mancher Baum aufgegeben hat, bevor er zur vollen Größe heranwuchs. Andere jedoch zeigen Überlebenswillen, die Natur bahnt sich ihren Weg und der nicht vorhandene Platz wird bis zum Anschlag ausgenutzt. Wurzeln borden über, Eisenringe werden überwuchert und der Bretterzaun gesprengt. 

Durch verschiedene Städte Europas dokumentiert der Fotograf und Regisseur Olaf Kreinsen auf seinen Reisen dieses Gegenüber aus Zähmungsversuchen und Unterordnung der Natur durch den Menschen und deren Wege, dem zu entkommen.

Ben Nurgenç, 16/10.2.47, 2021

Ben Nurgenç verwandelt den Ausstellungsraum in ein Labor: Tische, technisches Equipment, eine umfassende Pilzsammlung und die Ergebnisse seiner Zusammenarbeit mit einer künstlichen Intelligenz und den Pilzen als Vertreter der Flora haben das JUPITER bezogen und bieten Einblick in sein Schaffen.

Denn seine Skulpturen sind das Ergebnis aus der Kollaboration der drei Entitäten, die ein Zusammenleben auf diesem Planeten künftig unter sich ausdiskutieren müssen: Der Künstlichen Intelligenz, für die derzeit die Regeln in der Fachwelt noch verhandelt werden, der Natur, die unsere Lebensgrundlage bildet und dem Menschen. 

Im konstanten Experiment sucht Ben Nurgenç dabei Wege, in denen Leben gedeihen und „Skulpturen“ wachsen können. Das Miteinander ist ein Lernprozess, in dem minimale Veränderungen den Unterschied zwischen Gelingen und Misserfolg bedeuten können.

Danijela Pivašević-Tenner, 14 Days of Artificial Feelings, 2022

Danijela Pivašević-Tenner, 14 Days of Artificial Feelings, Digitalprint, 2022

Lokale Erden und Arbeitstechniken spielen eine wichtige Rolle im Schaffen Danijela Pivašević-Tenners, die in ihrem Medium Keramik konzeptuell arbeitet. In STATE OF THE ART the green edition präsentiert sie drei Werkgruppen: In Digitalprints und Video, konfrontiert sie ihre eigen Arbeit mit dem natürlichen Werkstoff mit der Künstlichkeit der auf Social Media proklamierten Schönheitsideale. Aufwändig mit Zwiebelmuster manikürte künstliche Fingernägel verhindern die Arbeit mit dem Ton und beschädigen die Keramik und entfernen die Künstlerin von ihrem Werkstoff.

320.000 pro Stunde meint die Anzahl der pro Stunde weggeworfenen Einwegbecher (Stand 2020). Bubbletea und PET Flasche stehen dem ursprünglich als „weißes Gold“ gefeierten Porzellan gegenüber, aus dem die Abformungen Pivašević-Tenners gemacht sind. In eisengraubraun gehalten – die Arbeit entstand für eine Installation im Eisenkunstgussmuseum Büdelsdorf – suggerieren sie Durabilität.

Commodity, Wegwerfprodukt und symbolisch aufgeladenes Arbeitsmaterial bilden auch das Spannungsfeld der Arbeit „Danke – ich brauche keine…“. Als Fundstücke im öffentlichen Raum gesammelte Tüten, waren diese Müll, bevor sie Kunst wurden. Mit jeder trägt der Käufer ein Stück der Erde davon, aus der sie stammen…

Anfahrt des RESTkollektivs zur STATE OF THE ART 2023

Die Luft wird merklich kühler. Das passiert, wenn Pflanzen Schatten spenden und Wasser verdunstet. Der Bereich der Ausstellung in dem das RESTkollektiv – Brigitte Raabe, Michael Stephan, Piet Trantel  seine Erlebniswelt installiert hat, bildet mit Sitzgelegenheiten, Springbrunnen und Natur eine eigene Ruhezone.

Ein großes Bild wurde von Schnecken gezeichnet, ihre Spuren glänzen auf der stumpf-grünlichen Oberfläche. Doch nicht nur die Tiere hinterlassen ihre Spuren, auch das Licht gestaltet mit und wirft Schatten wie einen Fächer hinter dem Bild an die Wand. Ein Labor stellt ein Experiment mit den Spuren von Pflanzen und Wasser nach, die sich im feinen Sprühnebel auf dem Papier abzeichneten.

Die Inszenierung des RESTkollektiv ist ein Blick auf einen Ausschnitt der Geschichte der vielen Aktionen dieser Gruppe, die sich in den 80er Jahren konstituiert hat und von der der alte Handwagen Zeugnis trägt. Er wurde Teil der Anlieferung, die in Teilen zu Fuß erfolgte und somit Teil der Aktionsgeschichte der Gruppe wurde, die ihr Handeln zur Kunst erhebt und mit ihrer zum Handeln animiert.

„Ziel von RESTkunst ist es, Tun / Nicht-Tun des Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft als künstlerische Ressource der Menschheit und immaterielles kulturelles Erbe abzubilden. Beispiele alltäglicher Handlungspraxis könnten nachhaltig zum Widerstand gegen den Zwang wirtschaftlichen Wachstums und die Konkurrenz des freien Marktes auf Kosten des Lebens auf dem Planeten Erde beitragen“ schreibt Michael Stephan.

Die Inszenierung ist zugleich ein Diskussionsangebot. Sie schärft das Bewusstsein für das Wirken der Natur, das im Detail sichtbar wird, und holt mit konkreten Fragen nach dem eigenen Handeln den Betrachter aus der Passivität.

Pranjal Trivedi, Triptych in Time, 2021

Pranjal Trivedi, Triptych in Time, Video Simulation, 2021

Pranjal Trivedi forscht als Astrophysiker und Kosmologe am Observatorium der Universität Hamburg, mit dem Schwerpunkt Dunkle Materie und dem Ursprung kosmischer Magnetfelder. Zu seiner Arbeit Triptych in Time erläutert er:

As human beings and as a species it is challenging to fully grasp the longer time-scales over which our Earth’s climate naturally evolves and how rapidly anthropogenic changes are altering it. This video juxtaposes cosmic simulations separated by three different animated boundaries. The shape of the boundary is inspired from the observed record of carbon dioxide in our atmosphere, measured over the past million, three hundred and 70 years, respectively, in order. The stark contrast invites a meditation and reflection on our epoch in a rapidly changing climate.

The animated boundary curves separating the upper and lower panels are adapted from publicly available observational data measuring the concentration of carbon dioxide in the Earth’s atmosphere. The first boundary represents the geological fluctuations over ice-ages in the period from 800,000 years ago to the present [2] and the second represents the historical industrial period from 1700 AD to the present [3], both obtained from analyses of Antarctic ice-core data. The third boundary curve represents the recent human impact from 1958 to the present, recorded at the Mauna Loa Observatory, Hawaii, popularly known as the ‘Keeling Curve’ [4].  

Sources of Scientific Data

Trivedi P., Reppin J., Chluba J., Banerjee R., 2018, Magnetic heating across the cosmological recombination era: results from 3D MHD simulations, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 481, 340

Lüthi, D., Le Floch, M., Bereiter, B. et al. High-resolution carbon dioxide concentration record 650,000–800,000years before present. Nature 453, 379–382 (2008)

Macfarling Meure, C. et al., 2006: Law Dome CO2, CH4 and N2O ice core records extended to 2000 years BP. Geophysical Research Letters, 33.

Scripps CO2 Program, UC San Diego & C. D. Keeling, et al. Atmospheric CO2 and 13CO2 exchange with the terrestrial biosphere and oceans from 1978 to 2000: observations and carbon cycle implications, pages 83-113, in „A History of Atmospheric CO2 and its effects on Plants, Animals, and Ecosystems“, editors, Ehleringer, J.R., T. E. Cerling, M. D. Dearing, Springer Verlag, New York, 2005.