STATE OF THE ART 2021

mit

Ina Arzensek & Sarah-Christina Benthien
Tewa Barnosa & Najwa Ahmed
Kathrin Haaßengier & Birgit Brandis
Sebastian Neubauer & Volker Crone
Razan Sabbagh & Hend El Balouty
Helga Weihs & Jürgen Wittke

Laufzeit: 4. September bis 31. Oktober 2021

Die STATE OF THE ART ist ein jährliches digitales Ausstellungsformat der galerie postel. Für die STATE OF THE ART 2021 – Dialogues and Collaborations wurden sechs Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich eine(n) Partner*in auszusuchen, mit der oder dem sie in einen künstlerischen Dialog treten möchten. Ziel war es, der Monologisierung und Vereinzelung, die zwangsläufig durch das Social Distancing zunimmt, Kommunikation und Austausch entgegenzusetzen. Das Ergebnis dieses Dialogs wird auf der STATE OF THE ART 2021 – Dialogues and Collaborations präsentiert.

Die virtuelle Ausstellung der STATE OF THE ART ist seit dem 1. November 2021 beendet. Auch interaktive Dokumente sind nun geschlossen. Selbstverständlich stehen wir gerne weiterhin für Fragen zu KünstlerInnen und Kunstwerken zur Verfügung, bitte wenden Sie sich gerne an uns unter kontakt (at) galeriepostel.de.

Die Blogseite der Ausstellung bleibt natürlich weiter bestehen.

Ina Arzensek & Sarah-Christina Benthien

Ina Arzensek & Sarah-Christina Benthien

LÜP – Labor für Übergänge und Prozesse

Kommunikationsset (o.T.), 2021/1

Auflg. 5 + 2 AP

Poster, Digitaldruck auf Papier, 29,7 cm x 42 cm / Transparent, Digitaldruck auf Transparentpapier, 21cm x 29,7 cm / Foto,13,5 cm x 18,5 cm / Postkarte (frankiert), Digitaldruck auf Papier, 10,5 cm x 14,8 cm / Klappkarte (gestempelt) 8,5 cm x 8,5 cm / Visitenkarte, Digitaldruck auf Papier, 5,5 cm x 8,5 cm / in Pergaminumschlag (unbedruckt) 31 cm x 44 cm

Für Ina Arzensek und Sarah-Christina Benthien ist die Zusammenarbeit Teil ihres künstlerischen Konzeptes und Kommunikation Teil ihrer künstlerischen Methodik. Eines der frühesten Objekte, die beide gemeinsam in der galerie postel ausstellten, war ein Reiseset, eine Ausstellung „to go“, die nicht nur zur eigenen Verwendung gedacht war, sondern auch per Post auf Reisen geschickt oder weitergegeben werden konnte. Die Nutzung veränderte die Reihenfolge der Anordnung der Teile des Sets, die Orte, an die sie gelangte, trugen zur Bedeutung der Arbeit bei.

In vielen Arbeiten der beiden Künstlerinnen, die sich selbst als prozessorientiert und situativ bezeichnen, spielen flüchtige Momente, das Ephemere, Veränderungen und ihre Spuren eine große Rolle. Sonnenstrahlen brechen in Fensterscheiben und verursachen Lichtreflexe und Regenbogen an der Wand, gestreuter Sand wird durch Wind, der so gering ist, dass er im Alltäglichen nicht bemerkt wird, zu wellenförmigen Streifen verweht. Ina Arzensek. und Sarah-Christina Benthien schaffen den Anlass für die Veränderung, streuen den Sand, arrangieren Durchlässigkeiten und fotografieren und dokumentieren damit Wellen, Lichtreflexe, Spiegelungen und Veränderungen. Sie schaffen so ein Bewusstsein für die Spuren der Vorgänge, die in ihren vielfältigen Details und feinen Auswirkungen oft übersehen werden.

Die aktuelle Arbeit ist ein Zweig einer Untersuchung, die Arzensek und Benthien in dem von ihnen in dem Projekt „Labor für Übergänge und Prozesse“ (LÜP) entwickelt haben. In seiner Kommunikationsfunktion setzt es zugleich den Leitgedanken der Ausstellung STATE OF THE ART 2021, kommunikations- und dialogfördernd zu wirken, fort, bietet in seiner auf die Veränderung durch den Nutzer angelegten Grundform jedoch auch reichlich Gelegenheit, durch das Verwenden, Arrangieren und Verändern der einzelnen Bestandteile einzugreifen. Dabei lenkt jedes Teil für sich in seiner Aufmerksamkeit für das nur scheinbar Nebensächliche, Vergängliche den Blick auf genau diese flüchtigen Momente und ihre Auswirkungen, die in der Arbeit der Künstlerinnen eine so große Rolle spielen.

Du bist in einem Raum.
Du hast Deine Aufgabe. Keiner sagt Dir welche Aufgabe es ist.
Du hast unendlich viele Möglichkeiten.
Du bist da.
Du bist auf dem Weg.“

(Auszug aus der Arbeit soft****scope, LÜP, 2020/21)

Das sind das Szenario, welches die beiden Künstlerinnen im Labor ihrer Arbeit voranstellen. Die Offenheit der Situation und die Aufforderung, sich darauf einzulassen, ist Teil ihres Konzeptes. Das Kommunikationsset in Zeiten der Pandemie sicher auch eine Einladung, hierzu einen Weg zu wählen, der auch über Distanz und mit Abstand möglich ist, zugleich aber auch eine Aufforderung zum eigenen Untersuchen und Forschen.

Das Handeln verändert die Grundlage des Schaffens, die Wahlfreiheit der Möglichkeiten eines Sets zwingt dazu, sich selbst einen Weg zu suchen und jede Wahl wird die Ausgangslage wieder verändern. Es fängt mit dem Format an – falten, rollen, oder ein kleines wählen? Und endet sicher nicht mit der Kombination so unterschiedlicher Motive wie der Federn, Sandkörner oder Blumen, jede für sich ein Moment, der so alltäglich scheint, dass er in seiner Zartheit sonst nicht wahrgenommen würde.

Tewa Barnosa & Najwa Ahmed

Tewa Barnosa & Najwa Ahmed

No season for writing in the midst of death / My crow, you normalized by displacement, 2021

Tinte (Tusche) auf Papier

40 x 30 cm

Schrift ist mehr als nur ein Medium. Sie ist Ausdruck von und konstituiert Zivilisation. Sie ist essentiell wie Nahrung. Für die Autorin und Künstlerin Najwa Ahmed ist die Beschäftigung mit Sprache und Schrift Grundlage ihres Schaffens und ihres Daseins. Ausdruckmittel, Heilmittel und Zugang zum Verständnis von Kultur und ihren Zusammenhängen. Tewa Barnosa erkundet in ihrer Arbeit neue und alte Bedeutungen, die in Sprache und ihren alten Schriften verwendet werden und experimentiert mit Kalligrafie und Schrift in verschiedenen Medien.

Die Zusammenarbeit für die STATE OF THE ART 2021 war für Najwa Ahmed und Tewa Barnosa nicht ungewöhnlich, sie sind befreundet und der Austausch zu ihren künstlerischen Interessen gehört zu ihrem Alltag. Für die STATE OF THE ART 2021 haben sie gemeinsam einen Beitrag erarbeitet, der sich mit Sprache und Schrift als Ausdruck historischer Entwicklung, politischer Veränderung und kultureller Zusammenhänge beschäftigt.

Zwei Kalligrafien bringen Text und Schriftbild zu einer Einheit zusammen. Die erste Kalligrafie liest No Season for Writing in the Midst of Death. Oder vielmehr NO season for writing in the midst of death, denn das NO steht als große Letter wie eine ausgestreckte Stop-Hand oder ein schützendes Dach über dem Rest des Testes. Während die Schrift arabisch ist, ist ihre Ausrichtung nicht wie im Arabischen üblich von rechts nach links, sondern von oben und unten, in der Ausrichtung von Tamazight, einer Sprache, die in Tewa Barnosas Geburtsland Libyen unterdrückt wurde, wo die führende Klasse arabischer Herkunft war. Allein durch die Ausrichtung der Schriftzeichen haben die Künstlerinnen ein potenziell brisantes politisches Statement in den Text aufgenommen.

Die zweite Kalligrafie hingegen ist wie im Arabischen üblich von rechts nach links geschrieben. Sie liest My Crow. You, normalised by displacement. Damit beziehen sie sich auf einen Vogel, der in der Überlieferung und Kultur der Region eine besondere Rolle spielte. Die Krähe – ein Rabenvogel – steht damit für Tod, für Verlust – aber im Verständnis der Künstlerinnen nicht alleine für den physischen Verlust von Menschenleben, sondern für den Verlust von Hoffnung, Verlust generell und den damit einhergehenden Schmerz. Als heiliger Vogel ist die Krähe jedoch zugleich hoch angesehen, ein würdiger Träger der Botschaft der Künstlerinnen.

In dieser Kalligrafie arbeiten die Künstlerinnen mit zwei Farbschichten. Die untere in brauner Tusche, heller, erinnert in ihrem Umriss selbst an einen Vogel, über den sich die schwarze Schrift der Kalligrafie zieht, sich oben verdichtet, doch über den braunen Umriss nach unten hin sich auflöst wie ein fransiges Federkleid oder Schleier und sich so in den Bildraum über die klare Kontur hinaus öffnet.

So verweben sie in der Schrift, in Wort und Form Elemente der persönlichen Lebenserfahrung mit tradierten übergreifenden Kultursymbolen und kondensieren Jahrhunderte von Kultur und Geschichte ihrer Herkunftsländer in wenigen Schriftsymbolen. Auf verschiedenen Ebenen findet sich hier ebenso das universelle Gefühl von Verlust, die persönliche Historie und der Protest gegen eine Geschichte von kultureller Unterdrückung.

Kathrin Haaßengier & Birgit Brandis

Birgit Brandis und Kathrin Haaßengier

Variationen einer Wilden Karde, 2021
Edition 20 + 2 AP

Drehorgel, 2 Lochstreifen, Fotoprint in Holzkasten

16 x 15,8 x 6,2 cm in geschlossenem Zustand

Das Klicken auf das Foto aktiviert ein Video, das die Funktion der Edition veranschaulicht und die „Wilden Karde“ wohltönend zu Wort kommen lässt. Für den vollen Genuss der Arbeit also bitte auf das Foto klicken und das Video (3:23 Min.) anschauen!

Die Wilde Karde wird auch als „Zisternenpflanze“ bezeichnet, da ihre Blätter ein Sammelbecken für Wasser bilden. Die Blütenköpfe der stacheligen Pflanze wurden von Webern früher zum Aufrauen der Wollstoffe benutzt und ihre Wurzel wurde für die Heilung zahlreicher kleinerer Beschwerden äußerlich und innerlich verwendet. Sie ist Faszinationsobjekt von Birgit Brandis und Kathrin Haaßengier – wegen ihrer Genügsamkeit, ihrer Fähigkeit, Wasser zu speichern,  und ihrer Abwehrmechanismen gegen Schädlinge. Das macht die Wilde Karde zu einem Zeichen von Resilienz und zu einer Anlaufstelle für viele Vögel und Nutztiere, die vom Nektar bis zum Wasser bei ihr die Grundlagen ihres Lebens finden.

Dass Birgit Brandis und Kathrin Haaßengier die Wilde Karde ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt für sich entdeckten ist sicher auch der Pandemie geschuldet, die nicht nur eines der Treffen der beiden in den Garten verlegte, sondern auch den Garten, die Natur in Zeiten des Social Distancing als Raum und Ereignisort mehr in den Focus holte. Doch das Interesse der beiden Künstlerinnen an der Pflanzenwelt und Phänomenen der Natur ist vor-pandemisch: Kathrin Haaßengier und Birgit Brandis haben sich mit Pflanzen und dem System der Natur seit den frühesten Anfängen ihrer künstlerischen Tätigeit beschäftigt, von einzelnen Arbeiten über Serien bis hin zu gemeinsamen Ausstellungsthemen.

Kathrin Haaßengier und Birgit Brandis begegneten sich erstmals während des Studiums bei Gustav Kluge in Karlsruhe. Seitdem sind die beiden befreundet, teilten sogar zeitweise Ateliergemeinschaften, realisierten gemeinsam diverse Ausstellungsprojekte und stellten letztens zusammen bei der Griffelkunst in Otterndorf aus.

Trotz dieser langjährigen Freundschaft, haben sie bislang keine Gemeinschaftsarbeit realisiert, was sicher auch an den sehr unterschiedlichen Medien der beiden Künstlerinnen liegt: Während Kathrin Haaßengier die zeichnerischen Grenzen des Mediums Skulptur in ihren kinetischen Arbeiten auslotet, bearbeitet Birgit Brandis ihre Gemälde in nahezu skulpturaler Manier, schält und bohrt zuvor aufgetragene Farbschichten, legt frei, schält und gräbt unter der Oberfläche der „Malerei“.

Doch so unterschiedlich die Arbeiten im Ergebnis scheinen – es gibt ein verbindendes Element, die Musik. Brandis spricht bei ihren Arbeiten von „Farbklängen“ und „Rhythmus“, sie sind in Farbe gegossene Musik, Schicht für Schicht wieder freigelegt. Und Haaßengiers Skulpturen, elektrisch belebt, sondern Geräusche ab, leise und laut, spontane Äußerungen, wesenhaft und von individuellem Charakter. Eine Klangvielfalt, die nicht zuletzt in dem 2017 in der Galerie gezeigten Objekteensemble, das durch die Besucher zum Klingen gebracht werden konnte,  hörbar wurde.

In der Arbeit „Wilde Karde“ wird jedoch nicht wie in den Arbeiten Haaßengier’s die Melodie durch ein von der Künstlerin gesteuerten Zufall beeinflusst, hier „spricht“ oder „klingt“ die Pflanze selbst: Der Rhythmus der Lochungen in dem papiernen Melodieträger ist direkt von einer Wilden Karde abgenommen, zwei Bögen, um dadurch mehr Länge der großen Pflanze zu Wort kommen zu lassen: Ihre Stacheln kennzeichneten die Stellen für die Lochungen, sie klingen.

Wie im Fall des Objekteensembles ist wieder der Betrachter gefordert, das Klingen zu initialisieren – sein Drehen an der Kurbel aktiviert den Ton und bestimmt das Tempo der Konversation mit der Pflanze, deren Konterfei einem im aufgeklappten Zustand der Edition dabei ansieht, Interaktion, Kommunikation, mit der Natur, der Pflanze, durch die Universalsprache Musik.

Sebastian Neubauer & Volker Crone

Volker Crone and Sebastian Neubauer

apparat XII
Print Edition, 
12 +2 AP

FineArt Print auf Hahnemühle Photo Rag
nummeriert, signiert, ungerahmt
22 x 30 cm (20 x 28 cm Bildausschnitt)

Volker Crone & Sebastian Neubauer

apparat XII, 2021

(Kinetisches Objekt/Musikalisches Diorama)

220 x 45 x 90 cm

Das Diorama begegnet dem Betrachter auf Augenhöhe: Zwei Meter hoch ist die rechteckige Säule, aus deren schwarzen Außenwänden der Mond durch die vordere Öffnung bläulich hervorleuchtet. Für die Onlineausstellung STATE OF THE ART haben die Künstler Volker Crone und Sebastian Neubauer das Erlebnis des Blicks in das Innere als Video reproduziert, mit Klang, Mondlicht und beweglichen Elementen. Im Close Up entsteht der Eindruck einer Landschaft en miniature, welche die Idee der Landschaft der Hochebene New Mexikos von Walter De Marias The Lightning Field mit der Turbinenhallen-Architektur der Tate Modern konfrontiert, in der Ólafur Elíasson für das The Weather Project die Simulation einer Sonne installierte.

Außenraum trifft auf Innenraum, Natur auf Architektur, das bei Nacht intensive Ereignis des Blitzes auf das in der Geschichte der Kunst oftmals romantisch aufgeladene Bild des Mondes, große Namen – Walter De Maria und Ólafur Elíasson – der Naturinszenierung durch die Kunst der Gegenwart auf große Namen der Musik, denn die Installation wird durch den zeitgleichen Klang von Claude Debussys Clair de Lune mit Ludwig van Beethovens Mondscheinsonate untermalt.

Wie ein Ballett bewegen sich die bei De Maria fest installierten Stäbe zur Musik. Über allem leuchtet sanft der Mond und taucht den künstlichen Raum in bläuliches Licht, während die Sonne des The Weather Project in warmen Orangetönen die Besucher dazu animierte, sich zum Sonnen auf den Boden zu legen. Und im zeitgleichen elektronischen Klang der beiden Melodien vermengen sich die Töne und lassen den Melodiefluss ineinander aufgehen.

Verfremdung ist ein bestimmendes Element dieser Darstellung und auch wenn einzelne Werke wiedererkennbar bleiben, werden doch entscheidende Merkmale verändert. Dadurch wird das Augenmerk auf andere Aspekte gelenkt und ein neues Gesamterlebnis geschaffen. Es konfrontiert den Betrachter mit einem vielleicht viel zu wenig wahrgenommenen Aspekt der Arbeiten, der romantischen Naturauffassung. Sie spielt in der Musik, aber auch in der Kunst der Gegenwart, in ihrer Inszenierung von Wirkmächtigkeit und Naturgewalt eine große Rolle spielt und für die der Mond an vorderster Stelle symbolhaft schon seit vielen Jahrhunderten steht.

Für Sebastian Neubauer ist es das zweite Mal, dass er die Technik des Mash-Up in der galerie postel präsentiert. Als letzte analoge Ausstellung im Jahr 2020 vor ihrer Transformation ins Digitale zeigte die galerie postel die Ausstellung STREAMER, zu der Sebastian Neubauer u.a. den gebundenen Ausdruck seiner Internetrecherche zum Thema des Mash-Up als Publikation zum offline-Schmökern beitrug. 2021 nutzt er nun diese Technik, um im Aufeinandertreffen der Bilder und Töne eine Zuspitzung des Themas zu erreichen und durch das zeitgleiche intensive Erlebnis den Betrachter zum eigenen Erforschen des Phänomens zu animieren.

In mehreren Nebenprodukten des Dioramas kann der Effekt dabei sehr unterschiedlich sein. Während das Diorama selbst einen konstanten Stream des Zusammentreffens der Kunstwerke erzeugt, strahlt ein Fotodruck der Szenerie des Dioramas sogar Stille aus. Das Video, ursprünglich zur Visualisierung des Dioramas für den digitalen Raum gedacht, ist im Lauf der Arbeit an dem Projekt zu einem eigenen, mit Liebe zum Detail orchestrierten Kunstwerk geworden. Sein Anfang zeigt die direkte Beobachtung, doch langsam ändern sich nach ca. 1:30 Minuten Rhythmus, Bild und Ton der elektronisch bearbeiteten Musikkompositionen und verdichten sich zu dramatischen Effekten, die gleich in Bild und Ton gleich einem Orchesterwerk zusammentreffen, an- und abschwellen.

Volker Crone und Sebastian Neubauer verbindet dabei nicht nur das Interesse an dem Thema der Inszenierung, Instrumentalisierung und Idealisierung der Natur: Die Vorliebe für die detailgenaue Darstellung von Bild- und filmischen Welten teilt der von Neubauer eingeladene Fotograf Crone ebenso wie den konzeptionellen Ansatz in der Kunst. Die Arbeit an einem Filmprojekt brachte die beiden Künstler zusammen und zeigte die Gemeinsamkeiten auf.

Im Dialog für STATE OF THE ART 2021 standen die Fragen nach Konstruktion von Natur und Konstruktion von Wirklichkeit schnell im Vordergrund. Dabei ist der Grad zwischen Untersuchung und eigener Inszenierung schmal: In der scheinbaren Weite des bläulich ausgeleuchteten Video fällt es nicht schwer, in das Bild einzutauchen und die wissenschaftliche Distanz des Untersuchenden zu verlieren, nur, um dann durch den herabzuckenden Blitz oder die Irritation der aufeinander treffenden Töne wieder aufgeschreckt zu werden

Razan Sabbagh & Hend El Balouty

Das eingebundene Video ist die Dokumentation eines Assoziativen Austauschs zwischen Hend El Balouty und Razan Sabbagh. Hier die von den Künstlerinnen zur Verfügung gestellten Quellenangaben:

UN VIOLADOR EN TU CAMINO – Buenos Aires 2019 / https://www.youtube.com/watch?v=WbuNo_R4ARY&list=PLL1gl_wbASayzxQCZQK3plUAnR_cdgbpY&index=1 / Women protest hijab laws in Iran / CBC News: The National / Rep. Alexandria Ocasio-Cortez (D-NY) Responds to Rep. Ted Yoho (R-FL) / C-SPAN / World’s Most Powerful Women Define Power / Forbes
Mit Frauengold wirst du wieder glücklich! / Werbung / هذا هو الاعتداء الجماعي .. احنا هنقاوم / OpAntiSH / 5 Egyptians Jailed for ‚Indecent‘ TikToks | NowThis / NowThis News / Hildegard Knef – Ich bin zu müde, um schlafen zu gehen / Hildegard Knef – Du bist mein Salz in der Suppe / نامي نامي يا صغيري – اميمة الخليل / ليه بتقصر تنورة – فارس كرم

Hend El Balouty und Razan Sabbagh haben sich mit ihrer Arbeit den digitalen Raum nutzbar gemacht, der das Arbeits-, Schul- und Sozialleben in Pandemiezeiten so geprägt hat und auch in Zukunft wohl erhalten bleiben wird. Via ein Videokonferenztool haben sie sich drei Mal zum Brainstormen getroffen und dabei aassoziativ Inhalte, Ereignisse, Videos, Berichte, Clips miteinander geteilt. Den Prozess haben sie mitgeschnitten und anschließend zu einem Video kondensiert, das thematisch einführt, die Arbeit der beiden dokumentiert und assoziative Räume erschafft.

Razan Sabbagh ist in der Galerie keine Unbekannte: Sie hatte bereits mit „Holding the Memory“ einen Beitrag zur Ausstellung IN BETWEEN geleistet und in der vergangenen STATE OF THE ART 2020 das Gespräch zum Mittel einer Performance und einer Zeichnung gemacht. Auch Hend El Balouty ist als politische und Performancekünstlerin tätig und hatten sich bei einem Projekt kennengelernt. Einen Diskussionsprozess also politische Aktion anzustoßen und zu dokumentieren ist damit Teil des gegenseitigen künstlerischen Anliegens.

Das Leitthema der Diskussion ist mit dem Titel „FrauenGold“ bereits angedeutet, einem in den 70ern in einem Werbespot beworbenen frei verkäuflichen Stärkungsmittel für Frauen. Das Thema bezieht sich auf eine viele Jahrzehnte und zahlreiche Länder, historische und zeitgenössische Momente, Medien, Kulturen und politische Situationen umfassende und auch derzeit hochaktuell diskutierte Frage: Die der Rolle und Rechte der Frau in der Gesellschaft.

Das in der Ausstellung gezeigte Video ist Dokumentation und zugleich Teil der Performance, die im Folgenden den Besuchern und der Öffentlichkeit geöffnet wird: Verlinkt über die Webseite der Ausstellung STATE OF THE ART 2021 finden die Besucher ein für alle freigegebenes Google Dokument. Hier haben die Künstlerinnen bereits assoziativ Notizen, Überschriften, Meinungen notiert. Die Besucher der Ausstellung sind aufgefordert, den Link zu nutzen und ebenfalls Gedanken, Ideen, Assoziationen zum Thema auf dem Google Doc zu notieren.

Das interaktive Google doc wurde zum Ende der Ausstellung geschlossen. Sie können sich nun leider nicht mehr beteiligen, den letzten Stand jedoch noch unter diesem Link lesen. Wir informieren Sie an dieser Stelle gerne, sobald das Kunstwerk in seine gedruckte Form überführt wurde.

Das Dokument ist für die gesamte Dauer der Ausstellung offen und wird betreut von den beiden Künstlerinnen, die sich regelmäßig mit den neu hinzugekommenen Notizen auseinandersetzen und auf sie reagieren werden. So ist das Dokument ein wachsender und sich verändernder Teil der Ausstellung und wird als PDF in regelmäßigen Abständen mit dem jeweiligen Erstellungsdatum lesbar sein.

Mit der Ausstellung wird dann auch das interaktive Dokument geschlossen, die Schlussversion wird als Edition für den Druck aufgearbeitet und wird dann über die Galerie erhältlich sein (das Video ist unverkäuflich und nicht Teil der Edition). So setzt das Ergebnis der Performance die Wirkung in die Gesellschaft fort, ist Zeitdokument und Denkanstoß, ein Kunstwerk als politische Aktion.

Interessierte an der Publikation sind herzlich eingeladen, sich per Email über kontakt (at) galeriepostel.de auf eine Liste setzen zu lassen, wir informieren Sie gerne, sobald mit Umfang und Abschlussarbeit Details zu Preis und Erscheinungsdatum bekannt sind.

Helga Weihs & Jürgen Wittke

weihs wittke 1 – 2021

150 x 150 x 2,2 cm

Fotografien von Jürgen Wittke in Pigmentdruck auf Photo Rag/Alu-Dibond und Wandobjekte von Helga Weihs, in Wenge, Öl, Grafit

Die Arbeit besteht aus 4 einzelnen Elementen, die im Zusammenhang mit der Beauftragung für die STATE OF THE ART 2021 im Dialog zusammengefügt wurden. Sie ist nur in dieser Zusammenstellung erhältlich, aber um die einzelnen Elemente auch im Detail erfassen zu können, werden die einzelnen Ansichten im Folgenden noch einmal einzeln aufgelistet – in Leserichtung von links oben nach rechts unten. Wer möchte, kann die Abbildungen durch Anklicken vergrößern, um mehr Details zu sehen.

Helga Weihs, WO-5-2020, Wenge, Öl, Grafit, 50 x 50 x 2,2 cm

Helga Weihs und Jürgen Wittke kennen und schätzen die Arbeit des jeweils anderen schon seit vielen Jahren. Tatsächlich haben manche vielleicht die Arbeit Helga Weihs‘ in manchen Belangen v.a. durch die Augen von Jürgen Wittke gesehen, denn er nahm viele der Fotografien auf, die Helga Weihs‘ Arbeiten in den Installationsansichten des Ausstellungsraumes zeigen.

Jürgen Wittke, faltung 1, 2021, Fotografie, Pigmentdruck auf Photo Rag/Alu-Dibond, 50 x 50 x 2,2 cm

Dabei fand er für die Künstlerin eine besonders schlüssige Art, die Anliegen der architektonisch-abstrakten Arbeiten zu vermitteln: Ihre Durchlässig- und Durchsichtigkeiten, die sich verändernde Perspektive, die immer von dem Standpunkt und der Bewegung des Betrachters im Raum beeinflusst ist, das Verhältnis der Arbeit zum Raum und seiner Wahrnehmung. Jürgen Wittke hingegen untersucht in seinen Fotografien Strukturen und Perspektive – und das für das Medium so essentielle Licht.

Jürgen Wittke, faltung 2, 2021, Fotografie, Pigmentdruck auf Photo Rag/Alu-Dibond, 50  x 50 cm

In der Gemeinschaftsarbeit kommen all diese Aspekte zusammen. Helga Weihs arbeitet mit der Wand als Verankerung im Raum – die Grafitzeichnung definiert die Grenze der Skulptur, auf der Wand, innerhalb des Raumes. Der Rhythmus der montierten Elemente aus geölter Wenge strukturiert den Raum, die 2,2 cm tiefen Elemente verändern sich im realen Raum mit der Perspektive.

Helga Weihs, WO-11-2020, Wenge, Öl, Grafit, 50 x 50 x 2,2 cm

Rhythmus und abstrakte Linien dominieren auch die Arbeiten von Jürgen Wittke. Licht betont die Tiefe der Falten. Die Farbigkeit der Aufnahmen ist für das Zusammenspiel mit dem dunklen Wengeholz leicht reduziert. In Format und quadratischer Grundform gleich angelegt, grenzen sich die Elemente in der gewählten Anordnung voneinander ab und treten aufeinander zu, erzeugen Spannungen, öffnen sich nach außen oder verschließen die Seiten nach außen hin.

Neben den offensichtlichen Unterschieden zwischen einer Holzarbeit und einer Fotografie im Pigmentdruck auf Photo Rag/Alu-Dibond gibt es bei den beiden Ansätzen der Abstraktion, denen Helga Weihs und Jürgen Wittke folgen, viele Abstufungen und Differenzen, die zu dem Spannungsaufbau beitragen: So kommuniziert in dieser im telefonischen Dialog und Mailaustausch entstandenen Gemeinschaftsarbeit die Struktur des Faltenwurfs in ihrer unterschiedlichen, diffuseren rhythmischen Dynamik, die Helga Weihs mit dem aus der Musik stammenden Begriff des Polyphonen bezeichnet, die nur bedingt gesteuert werden kann, mit dem kalkuliert gesetzten ,klaren Rhythmus der Kompositionen von Helga Weihs. Und während Jürgen Wittkes Fotografie mit der Abstraktion eines realen Objektes – in diesem Fall ein Stück aus Holz gefertigten Papiers – arbeitet, ist Helgas Arbeit in der Berechnung der Linien, die kein Motiv als Vorlage haben, im konkreten Bereich der Abstrakten Kunst zu suchen.

Der Dialog der beiden Künstler zeigt, wie weit Ähnlichkeiten und Abweichungen dazu beitragen können, die Arbeit des jeweils anderen zu beleuchten und im Miteinander einen spannungsreichen Dialog aufrechtzuerhalten.